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«Ich war noch nie so glücklich in meinem Beruf wie heute»

Veröffentlicht am 20.06.2016
«Ich war noch nie so glücklich in meinem Beruf wie heute»
Mit 33 Jahren kündigte die Architektin Martina Issler ihre Stelle in Zürich – ohne klare Vorstellung, wie es weitergehen sollte. Am Ende einer viermonatigen Auszeit in Kairo fasste sie den Entschluss, Fotografin zu werden. Heute lebt sie vom Verkauf der eigenen Postkarten und sagt, sie empfinde es als Glück, ihre Ideen unmittelbar und unabhängig umsetzen zu können.

Interview: Mathias Morgenthaler
 
Frau Issler, Sie haben Architektur studiert und leben heute von der Gestaltung von Postkarten. Was ist da schief gelaufen?

MARTINA ISSLER: Gar nichts, im Gegenteil. Ich war noch nie so glücklich in meinem Beruf wie heute. Meine aktuelle Arbeit ist persönlicher als jede frühere Arbeit. Ich setze Ideen unmittelbarer und unabhängiger um und erlebe, dass das, was mich berührt, über das Bild auch meine Kunden berühren kann.

Warum haben Sie sich aus dem Architekten-Beruf verabschiedet?

Nach sechs Jahren im Beruf stellte ich mir mit 33 Jahren die Grundsatzfrage, wie viel meine Tätigkeit mit meinen Talenten und Träumen zu tun hat. Ich entschloss mich, das Steuer herumzureissen und etwas Neues in Angriff zu nehmen. Ich kündigte meine Stelle, um alle Verbindungen zu kappen und ohne Einschränkungen über meinen Weg nachzudenken.

Wie fanden Sie heraus, welches für Sie der richtige Weg ist?

Ich ging in die Fremde, um mehr über mich selber zu erfahren, bildete mich in orientalischem Tanz in Kairo weiter und gewann Abstand zu meinem Alltag. Wer sich aus einem Netz löst, verliert den Anschluss – das ist zunächst verunsichernd. Deshalb war es wichtig, dass ich nicht nur ein paar Wochen in Kairo blieb, sondern vier Monate. Mit der Zeit fügten sich Erinnerungen, Eindrücke und Ideen zu einem neuen Bild zusammen. Es gab dann in Kairo den einen Moment, in dem mir vollkommen klar wurde, dass ich mich zur Fotografin weiterbilden wollte.

Wie gewannen Sie diese Klarheit?

Mit zeitlicher und räumlicher Distanz zu den Dingen erkennt man den roten Faden im eigenen Leben besser. Ich erinnerte mich, dass ich das erste Geld, das ich durch Schulhaus-Putzen verdient hatte, in eine Minolta-Kamera investiert und später nebenberuflich Foto-Kurse absolviert hatte. Und dann erlebte ich ein erstes Mal, wie verlässlich das Leben Zufälle bereithält, wenn man zu neuen Ufern aufbricht. Als wir in Ägypten im Taxi zu einer Pyramide fuhren, sagte ein Freund wie aus dem Nichts: «Ich habe mir überlegt, mich der Gruppe autodidaktischer Fotografen GAF anzuschliessen.» Ich war wie vom Blitz getroffen und sagte dann: «Genau das werde ich auch tun.» Eine halbe Woche später war ich zurück in Zürich, und bevor ich erzählen konnte, fragte mich eine Freundin: «Könntest du dir vorstellen, dich in Fotografie weiterzubilden? Freunde gründen eine neue GAF-Gruppe und suchen noch Mitglieder.» Wenige Tage danach legten wir los.

Und wovon haben Sie gelebt während der Neuorientierung?

Ich unterrichtete zwei Jahre lang als Assistentin bildnerisches Gestalten an der ETH. Danach setzte ich ganz auf die Karte Fotografie. Ein erster Kunde, der Leiter eines Altersheims, beauftragte mich damit, eine Postkartenserie zu kreieren. Später kamen ähnliche Aufträge dazu, von Rivella, von der Migros Zürich. Und allmählich wurde mir klar: Ich möchte nicht auf Dauer für Firmen oder Architekten fotografieren, sondern mein eigenes Postkartensortiment entwickeln. Schon während der Schule und später im Studium hatte ich stets Postkarten gekauft, weil ich mir für wenig Geld etwas leisten konnte, was weit über die Karte hinausging. Eine Stimmung oder ein im Bild manifestierter Teil einer noch vagen Idee. Daran wollte ich anknüpfen und mit eigenen Bildern Postkarten gestalten.

Brachte das Geld ein?

Zunächst einmal kostete es Geld. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Reserven, wusste aber, dass ich mich von finanziellen Bedenken nicht bremsen lassen durfte. Ich gestaltete ein erstes Sortiment, befragte Papeteristen, welche Motive gefragt seien, reservierte einen Stand an der Fachmesse Ornaris, ohne zu wissen, wie ich ihn bezahlen werde. Dann eröffnete mir meine Mutter beim Kaffeetrinken, dass sie mir 40‘000 Franken, die sie unverhofft erhalten hatte, als Startkapital schenken möchte. So hatte ich Geld für ein erstes Sortiment, zwei Druckplatten à 32 Karten. Und darüber hinaus eine Reserve für einige Monate.

Das war vor zwölf Jahren. Wie hat sich das Geschäft seither entwickelt?

Es ging kontinuierlich aufwärts – allerdings mit vielen saisonalen Schwankungen. Eigentlich gibt es bei den Postkarten fast nur zwei Saisons: Frühling und Weihnachtszeit. Ab Januar sehnen sich die Kundinnen und Kunden nach Frühling, ab Mitte Oktober sind sie auf Weihnachten ausgerichtet. Im Sommer läuft nicht viel. Das heisst für mich: Ich muss mit den Umsätzen, die in den ersten drei Monaten mache, bis im Oktober über die Runden kommen. Glücklicherweise habe ich ein sehr treues Stammpublikum. Das Schönste für mich ist, wenn ich spüre, dass die Kunden nicht einfach ein Produkt kaufen, sondern mein Projekt unterstützen wollen. Oft sind das Menschen, die selber nicht die Möglichkeit hatten, sich aus dem Brotberuf zu verabschieden und ihren Traum zu realisieren.

Wird nicht auch der schönste Beruf mit der Zeit zur Routine?

Nein, dieses Problem kenne ich nicht. Ich habe bis heute 1162 Postkarten gestaltet, 850 der Motive sind noch im Umlauf. Das Fotografieren und Produzieren ist mir in dieser Zeit nie verleidet. Aber es gibt in jedem Beruf Routinearbeiten. So muss ich sehr darauf achten, dass ich nicht in den administrativen Tätigkeiten ertrinke und mir genug Freiraum reserviere für Konzeptionelles und die Fotografie. Büroarbeiten sind auf eine seltsame Weise attraktiv: Man kann sukzessive Dinge abarbeiten und sieht am Abend, was man geschafft hat. Kreative Prozesse dagegen sind unberechenbar und brauchen viel Zeit.

Das Fotografieren ist nicht immer ein Genuss?

Manchmal kämpfe ich noch immer gegen das schlechte Gewissen, wenn ich in einer Blumenwiese liege und fotografiere. Dann sagt eine innere Stimme: «Was so schön ist, kann doch keine Arbeit sein.» Selbst wenn man sich anstrengt, kommt an manchen Tagen nichts Befriedigendes heraus. Und manchmal, wenn ich etwas unbekümmert angehe, entdecke ich plötzlich: Das ist es, dieses Bild hat Kraft.

 
Kontakt und Information:
www.bildreich.ch oder issler@bildreich.ch

Legende: Martina Issler: «Ich ging in die Fremde, um mehr über mich selber zu erfahren.»