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«Da fühlte ich mich zum ersten Mal lebendig»

Veröffentlicht am 13.10.2015
«Da fühlte ich mich zum ersten Mal lebendig»
Studium mit Bestnoten an der HSG, eine gut dotierte Stelle in der Unterneh-mensberatung: Michel Bachmann war drauf und dran, die klassische Karriere-leiter zu erklimmen. Doch dann verliebte er sich in London Knall auf Fall in eine neuartige Arbeitsform. Er entschloss sich, einen ähnlich inspirierenden Ort in Zürich zu schaffen, und gründete mit Kollegen den Impact Hub.

Interview: Mathias Morgenthaler

 
Herr Bachmann, wie sind Sie zum Mitgründer des Impact Hub Zürich geworden vor fünf Jahren? Sie hatten doch einen HSG-Abschluss in der Tasche und in der Unternehmens-beratung Fuss gefasst und hätten lukrativere Dinge tun können als einen Treffpunkt für Sozialunternehmer zu kreieren.

MICHEL BACHMANN: Ich bin in meiner Karriere immer meinen Interessen gefolgt, nicht einem Karriereplan. Ich studierte Internationale Beziehungen mit Schwergewicht Wirtschaft, um besser zu verstehen, wie die Welt funktioniert. Während des Studiums habe ich mich stark in der Freiwilligenarbeit engagiert, vor allem bei AIESEC, der grössten internationalen Studentenorganisation. Unser Lokalkomitee mit 80 Mitarbeitern und einer Million Franken Umsatz musste reorganisiert werden. Ich nahm mir eine einjährige Auszeit an der Uni und widmete mich ganz dieser Aufgabe – es war die wohl beste Zeit meines Lebens. In einer global vernetzten Organisation lokal etwas auf die Beine zu stellen und andere für eine Visi-on zu gewinnen, gefiel mir sehr gut. Da fühlte ich mich zum ersten Mal richtig lebendig.

Nach dem Bachelor-Abschluss engagierten Sie sich ein halbes Jahr in einem sozialen Pro-jekt in Kolumbien und wechselten dann – typisch für einen HSGler – in die Unterneh-mensberatung. Warum dieser Schlenker?
Ich dachte, es wäre gut, noch etwas Solides im Lebenslauf stehen zu haben, nicht nur diese sozialen Geschichten. Die Aufgabe als Managementberater war interessant. Ich lernte in Abu Dhabi eine neue Region kennen, war von intelligenten Menschen umgeben und gut be-zahlt. Aber seltsamerweise sackte mein Energielevel immer mehr ab. Die Arbeitsbelastung war sehr hoch, der Gestaltungsspielraum minim. Ich arbeitete als Analyst, konnte keine ech-te Verantwortung übernehmen. Ich hielt es nur ein Jahr aus, machte dann an der Universität den Masterabschluss und unterschrieb nochmals einen Vertrag in einem internationalen Beratungsunternehmen.

Warum haben Sie diese Stelle nie angetreten?
Der Kopf riet mir zu dieser Karriere, Herz und Bauch sagten Nein – und am Ende hat der Körper entschieden. Ich kehrte von einer Wurmkrankheit geschwächt von einem Studienauf-enthalt in Indien zurück, konnte deshalb die neue Stelle nicht antreten und hatte drei Mona-te Zeit zum Nachdenken. Danach war klar, dass ich einen anderen Weg gehen musste. Ich nahm eine Doktorarbeit in Angriff und wollte ergründen, wie man eine lokal verwurzelte und global vernetzte Organisation bauen kann. Zu diesem Zweck reise ich nach London, wo ich mich Knall auf Fall verliebte – nicht in einen Menschen, sondern in einen neuartigen Ar-beits- und Begegnungsort, den Impact Hub. Meine akademischen Interessen rückten in den Hintergrund, für mich gabs nur noch eins: Ich wollte einen so inspirierenden Ort in Zürich schaffen. Glücklicherweise fand ich rasch drei Kollegen, die das Unterfangen vor fünf Jahren mit mir anpackten. 

Warum waren Sie Feuer und Flamme?
Der Impact Hub war eine unglaublich lebendige, bunte Welt, wo sich die verschiedensten Menschen begegneten und gemeinsam an Projekten arbeiteten – kein Vergleich mit der normierten Konzernwelt. Besonders eindrücklich fand ich, dass das alles ohne starre Hierar-chien funktionierte. Da trafen sich Freelancer, Freaks und Firmenchefs auf Augenhöhe und lernten voneinander. So stellte ich mir die Zukunft der Arbeit vor.

Der Impact Hub in Zürich, den Sie lanciert haben, ist mit rund 500 Mitgliedern eine Er-folgsgeschichte. Es haftet ihm aber auch der Ruf an, dass sich dort viele Tagträumer und Utopisten treffen, deren Projekte nie zum Fliegen kommen.
(Lacht) Oja, diese Utopisten gibt es wirklich – es braucht eben auch Träumer. Spannend wirds, wenn Utopisten mit nüchternen Macher-Typen aufeinander prallen. So verbindet der Impact Hub Welten, die sich sonst nicht treffen würden. Wir organisieren zum Beispiel Speed-Datings zwischen erfahrenen Berufsleuten und Startup-Unternehmern und bringen die richtigen Partner für Firmengründungen zusamme. Mein zentrales Anliegen bei der Lan-cierung war, einen Ort zu bauen, wo die Wahrscheinlichkeit von glücklichen Zufällen höher ist als anderswo. Viele aktuelle Herausforderungen verlangen nach mehr Austausch und Vernetzung über die traditionellen Grenzen hinweg. Die Impact Hubs vernetzen lokal die Menschen physisch und weltweit virtuell. Über 10'000 Mitglieder aus 65 Hubs sind unserem Netzwerk angeschlossen. 

Ist das nicht manchmal auch furchtbar anstrengend, sich immer in dieser superkreativen und vernetzten Hub-Welt zu bewegen?
Doch, wir digitalen Nomaden, die an verschiedenen Orten in diversen Projekten arbeiten, müssen tatsächlich aufpassen, nicht in die Beschleunigungsfalle zu geraten. Mein Lebensstil in den letzten fünf Jahren war nicht sehr gesund. Ich versuchte, drei Fulltime-Jobs unter ei-nen Hut zu bringen – den Aufbau des Hubs in Zürich, die Tätigkeit im globalen Board und meine Dissertation. Alles machte mir Spass, war aufregend, täglich knüpfte ich neue Kontak-te. Aber man kann nicht die ganze Zeit das Gaspedal durchdrücken. Ich habe mir – ge-schwächt durch den Parasiten aus Indien – einen Fuchsbandwurm eingefangen und wurde dadurch gezwungen, mich intensiver mit meiner Gesundheit zu befassen. Wenn dir 80 Pro-zent der Leber entfernt werden müssen, machst du nicht einfach weiter wie vorher.

Was haben Sie verändert?
Ich reiste nach Bali, um mich zu kurieren und meinen Lebensstil zu reflektieren. Rasch merk-te ich, dass ich nicht der einzige Unternehmer war, der das Tempo etwas drosseln wollte. So lancierte ich ein Entschleunigungsprogramm für erfolgreiche Unternehmer, die auftanken und ihren Fokus schärfen wollen. Wir führen nun einmal pro Jahr eine Art Selbsthilfegruppe durch, verbringen viel Zeit offline, tauschen Erfahrungen aus. Natürlich bringt es nichts, einmal pro Jahr einen Monat in Bali zu meditieren und die restlichen elf Monate hochtourig unterwegs zu sein. Ich schütze mich zunehmend durch Offline-Zeit vor der Überreizung. Um 22 Uhr schalte ich die Internetverbindung aus, am Samstag bleibe ich offline. Es braucht verdammt viel Disziplin, schafft aber Raum für viele andere Dinge. Ich bin öfter in der Na-tur, spüre meinen Körper besser, gehe mehr in die Tiefe bei allem.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Impact Hub in nächster Zeit?
Wir wollen eine physische Plattform schaffen, wo die Zukunft der Wirtschaft gebaut wird: offen, vernetzt, nachhaltig – in jedem Sinne des Wortes. Dafür verbinden wir alle Akteure im Startup-Ökosystem und arbeiten auch immer mehr mit Grossfirmen zusammen. Das Wich-tigste dabei ist, dass wir auf Augenhöhe zusammen kommen und voneinander lernen.

 
Kontakt und Information:
michel.bachmann@impacthub.net oder www.deceler8.me

Michel Bachmann: «Ich habe versucht, drei Fulltime-Jobs unter einen Hut zu bringen.»