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«Führen kann man nur bedingt lernen»

Veröffentlicht am 07.03.2014
«Führen kann man nur bedingt lernen»
Im Gespräch mit Andrea Schenker-Wicki (54), Prorektorin der Universität Zürich.

Interview: Hanspeter Mettler
Andrea Schenker-Wicki, hatten Sie als Kind einen Traumberuf?
Andrea Schenker-Wicki:
Ja, Krankenschwester war mein absoluter Favorit. Ich versorgte mit Hingabe andere Kinder mit Verbänden und Pflastern und eröffnete mit meinen Freundinnen eine richtige Kinderkrankenschwesternschule.

Was würden Sie anders machen, wenn Sie nochmals neu beginnen könnten?
Schenker-Wicki: Ich würde einen Teil meines Studiums im Ausland absolvieren, was ich auch heute meinen Studierenden sehr empfehle. Es ist wichtig, in unserer globalisierten Welt Erfahrungen in anderen Kulturen zu machen.

Wie wurden Sie von Ihren Lehrern eingeschätzt?
Schenker-Wicki: Immer positiv.Ich war ziemlich pflegeleicht, lernte leicht und hatte gleichzeitig das Glück, stets ausgezeichnete Lehrerinnen und Lehrer zu haben. Sonst hätte ich wahrscheinlich nicht so lange studiert.

Wo würden Sie in der Führungsschulung andere Akzente setzen?
Schenker-Wicki: Die Frage ist: Kann man Führung lernen? Ich würde meinen, nur bedingt. Natürlich gibt es eine Reihe von Führungsinstrumenten, mit denen man sich vertraut machen kann und die man auch einsetzen muss, will man ein Unternehmen oder eine Organisation erfolgreich führen. Aber der Einsatz dieser Instrumente hat mit Führung oder Leadership eigentlich nur am Rande zu tun. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass zum Beispiel die Fähigkeit, sich selbst und andere Leute für ein gemeinsames Ziel zu motivieren, ein ganz wichtiger Teil von Leadership ist. Diese Eigenschaft ist leider nicht ohne weiteres vermittelbar. In diesem Zusammenhang spricht man übrigens bei einem CEO nicht mehr vom Chief Executive Officer, sondern von einem Chief Encouragement Officer.

Wer hat Sie am meisten gefördert?
Schenker-Wicki: Mein Mann und Ernst Buschor, bei dem ich habilitiert habe.

Welche Person ist für Sie ein berufliches Vorbild?
Schenker-Wicki: Schwierige Frage. Ich habe in meinem beruflichen Leben schon viele unterschiedliche Persönlichkeiten als Vorgesetzte kennen lernen dürfen. Alle haben mich auf eine gewisse Art und Weise geprägt, und von allen habe ich etwas gelernt. Nicht nur, wie man gewisse Dinge anpackt, sondern auch, wie man es auf keinen Fall machen sollte. Mein grösstes Vorbild aber ist mein ehemaliger Chef im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (ehemals Bundesamt für Bildung und Wissenschaft), der leider vor einigen Monaten viel zu früh verstorben ist. Er verfügte über eine beeindruckende Sensibilität gegenüber Themen, Trends und Politik.

Welches sind für Sie die wichtigsten Tugenden eines Vorgesetzten?
Schenker-Wicki: Integrität, Authentizität sowie ein Engagement für ein grösseres Ganzes, das weit über die eigene Person hinausreicht. Das alles gekoppelt mit einer Portion Bescheidenheit und einer Prise Humor. Ohne persönliche Integrität, an die in der heutigen Zeit übrigens immer höhere Ansprüche gestellt werden, kann man heute keine Führungsfunktion mehr ausüben.

Welche Eigenschaften Ihrer Mitarbeitenden sind für Sie besonders wertvoll?
Schenker-Wicki: Loyalität und Einsatz, Kreativität und Belastbarkeit. Ich bin eine Teamplayerin, keine Einzelgängerin. Darum ist Loyalität für mich zentral. Auch Kreativität ist in dem Umfeld, in dem ich tätig bin, eine ganz wichtige Voraussetzung für Erfolg. Belastbarkeit ist ebenfalls essenziell, da wir mit knappen Ressourcen einen grossen und bunten Strauss von Aufgaben zu erfüllen haben.

Haben sich Ihre Führungsprinzipien im Lauf der Zeit verändert?
Schenker-Wicki: Ja. Während ich am Anfang meiner Laufbahn immer noch vieles selbst machte, musste ich lernen, zu delegieren, um mein Pensum überhaupt zu schaffen. Dies bedeutet: mehr Vertrauen, aber auch mehr Feedbacks. Was ich auch lernen musste, ist, mehr Geduld zu haben. Das fällt mir auch heute noch schwer. Ich bin ein eher ungeduldiger Mensch und möchte am liebsten alles sofort erledigt haben.

Die Berufswelt sei hektischer, belastender geworden, geht die Klage.
Schenker-Wicki: Ja, das stimmt. Das digitale Zeitalter und die ständige Erreichbarkeit haben ihre Tücken und verursachen eine zusätzliche Portion Stress, auch bei mir. Meine wichtigsten Büro-Utensilien sind inzwischen iPhone und iPad.

Worüber haben Sie zuletzt gestritten?
Schenker-Wicki: Mit meinem Sohn über die Verwendung gewisser Wörter, die allen Eltern pubertierender Jugendlicher bestens bekannt sein dürften.

Welches ist der Stellenwert sozialer Netzwerke für Sie, beruflich wie privat?
Schenker-Wicki: Sehr hoch, ohne sie läuft nichts.

Hören Sie auf Ratschläge aus Ihrem privaten Umfeld?
Schenker-Wicki: Das habe ich immer gemacht und werde es auch weiterhin tun. In wichtige Entscheidungen wird die ganze Familie einbezogen; jeder hat eine Stimme, auch die Kinder.

Vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl?
Schenker-Wicki: Unbedingt. Das Bauchgefühl ist sehr wichtig. Das zeigen Untersuchungen aus der neuropsychologischen Forschung.

Was bringt Ihnen wirklich Erholung?
Schenker-Wicki: Wellness in allen Varianten.

Wo waren Sie jüngst in den Ferien?
Schenker-Wicki: In Frankreich.

Welchem Satz misstrauen Sie?
Schenker-Wicki: «Immer höher, immer schneller, immer weiter!»

Wie viele Stunden arbeiten Sie pro Tag?
Schenker-Wicki: Aufgrund der Turbulenzen, die wir an der Universität hatten, habe ich in den letzten Monaten zu viel gearbeitet. Das haben wir jetzt wieder auf ein normaleres Mass reduziert.

Sind Sie zuversichtlich für die Schweiz?
Schenker-Wicki: Sehr. Die Schweiz ist ein sehr erfolgreiches Land, darauf wird man im Ausland immer wieder angesprochen. Aber wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen.

Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Schenker-Wicki: Dann werde ich eine Mutter mit zwei Teenagern sein, die mich jeden Tag herausfordern.Und weiterhin eine glückliche Professorin an der Universität Zürich.