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About: Philosophieprofessorin

Veröffentlicht am 24.02.2017
About: Philosophieprofessorin
Annemarie Pieper (Bild): „Die Trauer über die verlorene Zeit sitzt vielen wie ein Stachel im Herz.“

„Ich habe zwar kein Wort verstanden - aber ich war beeindruckt“
Als Annemarie Pieper an den Jaspers-Lehrstuhl nach Basel berufen wurde, dachte sie an einen Scherz. „Lange war ich eine Exotin, die nicht ernst genommen wurde“, erinnert sich die emeritierte Philosophie-Professorin. Heute ermutigt die 63-Jährige Berufsleute dazu, regelmässig ihr Tun zu hinterfragen, statt erst im Krankenbett Bilanz zu ziehen.
Frau Pieper, Sie wuchsen als Kriegskind in einfachen Verhältnissen auf. Wie kam es, dass Sie Philosophieprofessorin wurden?
ANNEMARIE PIEPER: Ach, da waren viele Zufälle mit im Spiel. Eigentlich wollte ich ja Schriftstellerin werden. Mein Vater ist in Russland gefallen, als ich kaum ein Jahr alt war, meine Mutter musste arbeiten gehen; ich verbrachte deshalb sehr viel Zeit mit Büchern. Ich entdeckte neue Welten, Welten, die mir schöner und spannender erschienen als der mich umgebende Alltag. Deshalb träumte ich davon, später selber solche Welten zu schaffen mit der Kraft der Phantasie. Später, als ich mir konkretere Gedanken über die Berufswahl machte, wollte ich Journalistin werden.
 
Wie kamen Sie mit der Philosophie in Kontakt?
Um das Staatsexamen ablegen zu können, musste ich ein so genanntes Philosophikum absolvieren. Ich belegte also ein paar Stunden Philosophie. Ich hab zwar kein Wort von dem verstanden, was der Dozent für theoretische Philosophie da vortrug, aber seine Persönlichkeit hat mich beeindruckt. Irgendwie hatte er mein Interesse geweckt, nicht das Interesse an Metaphysik, sondern jenes an Existenzphilosophie, an Kierkegaard beispielsweise, der zeitlebens dagegen angeschrieben hat, von den gewaltigen Lebensproblemen erdrückt zu werden. Noch als ich meine Habilitationsarbeit schrieb, war ich allerdings überzeugt, dass ich nie einen Beruf würde ergreifen können, der mit Philosophie zu tun hat.
 
Warum?
Weil es damals nicht nur keinen Frauen-Bonus, sondern einen Frauen-Malus gab. Es war undenkbar, dass eine Frau einen Lehrstuhl für Philosophie besetzte. Deshalb schlug ich mich mit Übersetzungen durch. Bei Stellenausschreibungen wurde ich zwar oft zum Vorsprechen eingeladen, weil die Männergremien gerne eine Exotin begutachteten, ernst genommen wurde ich aber nicht. Als ich den Ruf nach Basel erhielt, vier Jahre nach der Ausschreibung des Jaspers-Lehrstuhls, dachte ich zunächst an einen Scherz. Ich hatte vergessen, dass ich mich auch dort beworben hatte.
 
Heute sind Sie emeritiert und referieren vor Berufsleuten über Lebenskunst und Sinnmanagement. Was empfanden Sie an Ihrem eigenen Beruf als sinnvoll?
Den Umgang mit jungen, grösstenteils hoch intelligenten Menschen, von denen ich wusste, dass sie später wichtige Positionen in unserer Gesellschaft einnehmen würden. Gemeinsam die Urteilskraft zu schärfen ist eine sehr sinnvolle Aufgabe. Eins meiner Hauptanliegen war es, Schweizer Studierende etwas kritikfähiger zu machen. Die waren alle so brav, so unselbständig im Vergleich zu den deutschen Studenten.
 
Viele Berufsleute gelangen in Machtpositionen, ohne je eine Stunde Philosophieunterricht genossen zu haben. Beklagen Sie dies?
Ich stelle zumindest fest, dass in den Managementetagen noch immer ein Manko an Sozialkompetenz und Weitsicht herrscht. Viele Wirtschaftsleute sind richtiggehend ethikresistent. Ich würde es begrüssen, wenn Studierende vermehrt interdisziplinär geschult würden, wenn sich auch Betriebswirtschafter mit Ethik und Wissenschaftsgeschichte auseinander setzen würden. In Basel gibt es erste Versuche in dieser Richtung. Ebenso wichtig ist es, schon mit Kindern im Vorschulalter zu philosophieren, ihnen ein Gefühl für Werte und für die Relativität des eigenen Standpunkts zu vermitteln.
 
Sie zeichnen ein düsteres Bild von der Wirtschaft.
Natürlich spitze ich zu. Es gibt auch Wirtschaftsleute, die ein Unbehagen empfinden, die spüren, dass mit ihnen und mit dem ganzen System etwas nicht stimmt. In meinen Workshops zum Thema Sinnmanagement weise ich immer wieder darauf hin, dass das Leben als ganzes glücken sollte. Viele ziehen am Ende ihres Lebens oder nach einer Erkrankung erstmals Bilanz und stellen fest, dass sie Wichtiges versäumt haben. Diese Trauer über die verlorene Zeit sitzt ihnen wie ein Stachel im Herz. Wer schon während der Berufslaufbahn gelegentlich einen Schritt zurücktritt und sich fragt, wo er steht und wie zufrieden er mit seinem Leben ist, gibt sich die Chance, neue Wege einzuschlagen.
 
Ist Ihnen das gelungen? Haben Sie den Eindruck, nichts versäumt zu haben?
Nein, es ist mir nicht vollständig gelungen. Im Privatleben blieb vieles auf der Strecke, weil mein Berufsleben so aufreibend war. Ich nahm mir zu wenig Zeit für Freundschaften, ich habe keine Familie gegründet, aber in einer Vielzahl von Gremien Einsitz genommen. Je länger meine akademische Laufbahn dauerte, desto weniger Musse blieb mir. Das hatte teilweise Gründe, die ich nicht direkt beeinflussen konnte, hing aber auch damit zusammen, dass ich zu spät delegieren lernte. Nach meinem letzten Arbeitstag war ich dann so erschöpft, dass ich sechs Wochen lang nichts anderes machte als schlafen und essen.
 
Eine klassische Managementkarriere also...
(lacht.) Ich würde für mich in Anspruch nehmen, dass ich mich nie so schrecklich wichtig nahm, dass ich glaubte, ich müsse überall dabei sein und ohne mein Einverständnis gehe gar nichts. Oft ist es ja dieser ausgeprägte Geltungsdrang, der Führungskräfte in Richtung Dauerhektik peitscht. Ich glaube, für mich stand immer die Sache im Zentrum, und ich habe in den Personen, mit denen ich zu tun hatte, nie bloss Funktionsträger, sondern immer Individuen gesehen. Männliche Führungskräfte tendieren ja oft dazu, sich selber und andere im Berufsumfeld nur als Rollenträger wahrzunehmen. Den Menschen entdecken sie oft erst, wenn sie abends in der Stammkneipe sitzen und sich volllaufen lassen.
 
Kontakt:
annemarie.pieper@unibas.ch