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Ich verlasse mich auf meinen Instinkt

Veröffentlicht am 25.04.2017
Ich verlasse mich auf meinen Instinkt
Im Gespräch mit Colette C. Camenisch, 41, selbstständig tätige Fachärztin FMH für plastische, wiederherstellende und ästhetische Chirurgie.

Interview Hanspeter Mettler, 30.01.2014
Hatten Sie als Kind einen Traumberuf?
Colette C. Camenisch:
Mir war schon als Jugendliche bewusst, dass ich einen kreativen Job mit vielfältigen Herausforderungen anstrebte. Die Möglichkeiten, die sich in der Chirurgie für mich auftaten, die Wissenschaft, Leidenschaft und das Handwerk, entsprachen genau meinen Vorstellungen. Ich übe heute also den Beruf aus, der genau meinen jugendlichen Träumen entspricht.

Was würden Sie anders machen, könnten Sie nochmals neu beginnen?
Camenisch:
Mein beruflicher Weg war oft steinig, und mehr als einmal wollte ich alles hinschmeissen. Aber meine Arbeit ist meine Leidenschaft. Ich tue genau das, was mich inspiriert, herausfordert und auch menschlich formt. Also gibt es in dem Sinne nichts zu ändern. Freilich würde ich versuchen, meinen Weg etwas gelassener und reflektierter zu gehen.

Wie wurden Sie von Ihren Lehrern eingeschätzt?
Camenisch:
Im Gymnasium glaubte mein Mathe-Lehrer, dass die Herausforderungen im Rechnen meine intellektuellen Fähigkeiten übersteigen. Im Studium meinte unser Professor für Biochemie, dass Frauen wie ich wohl besser den Studienplatz für höher begnadete, männliche Kollegen freigeben sollten. Und in der Facharztausbildung zur Allgemeinchirurgin musste ich mich nicht selten auch mit Ellenbogen beweisen. Ich habe aber die Matura problemlos geschafft, genauso das Studium und die Facharztausbildung – was zeigt, dass ich von anderen Lehrern wohlwollend gefordert und gefördert wurde.

Auf welche ausserschulische Leistung sind Sie stolz?
Camenisch:
Ich habe früh gelernt, Verantwortung für andere zu übernehmen.

Ist die Managementausbildung auf der Höhe der Zeit?
Camenisch:
Jede Ausbildung auf der Höhe der Zeit soll den Menschen und das Verständnis für ihn ins Zentrum rücken. Das ist in der Praxis – auch in der medizinischen Ausbildung – leider zu wenig der Fall.

Wo würden Sie in der Führungsschulung andere Akzente setzen?
Camenisch:
Führen verlangt neben der geforderten Fachqualität die Kompetenz, Konflikte zu lösen und Mitarbeitende zu fördern. Darauf muss eine Führungsschulung ausgerichtet sein.

Wer hat Sie gefördert?
Camenisch: Es waren verschiedene Menschen, die mich geprägt haben: Meine Lateinlehrerin hat mir das Gefühl für Stolz, Weisheit und Würde vermittelt. Einige meiner Ausbildner in der Facharztausbildung haben meine Führungsqualitäten und meine operativen Fähigkeiten gefördert. Und die Patienten fordern mich täglich menschlich wie auch handwerklich, sodass ich hoffentlich noch lange geformt werde und mich weiterentwickle.

Welche Person ist für Sie ein berufliches Vorbild?
Camenisch:
Ich war schon früh von starken Frauen in unterschiedlichen Funktionen beeindruckt und habe sie mir zum Vorbild gemacht. Ich sog ihre Lebensgeschichten auf wie ein Schwamm. Die Chirurgin, für die ich am meisten Respekt und Bewunderung empfinde, ist Professorin Ursula Schmidt-Tintemann, eine Pionierin der plastischen Chirurgie unserer Zeit, die allen Widerständen zum Trotz dem männlichen Kollegium bewies, dass man als Frau sowohl wissenschaftlich als auch operativ problemlos mithalten und eine neue Fachrichtung mitprägen kann. Frauen wie ihr verdanken wir Frauen mehr Akzeptanz und Anerkennung im Beruf.

Welches sind für Sie die wichtigsten Tugenden eines Vorgesetzten?
Camenisch:
Stärke, Mut, natürliche Autorität, Eigenreflexion und Menschenfreundlichkeit.

Welche Eigenschaften Ihrer Mitarbeitenden halten Sie für besonders wertvoll?
Camenisch:
Loyalität, Gradlinigkeit und Arbeitswille. Aber auch Freude an der Tätigkeit, die sie ausführen. Nichts vergiftet die Arbeitsmoral im Team mehr als ein unmotivierter Mitarbeiter.

Was bringen Frauenquoten?
Camenisch:
Ich bin prinzipiell dafür, dass der oder die Fähigste eine Stelle belegen soll, ungeachtet des Geschlechts. Aber die Frauenquote gibt uns Frauen die Möglichkeit, überhaupt angehört zu werden. Eigentlich überrascht es mich, dass Themen wie Frauen an der obersten Kaderspitze oder Frauen im Verwaltungsrat noch immer keine gelebte Selbstverständlichkeit sind.

Haben sich Ihre Führungsprinzipien im Lauf der Zeit verändert?
Camenisch:
Ich war mit 33 Jahren das erste Mal Oberärztin. Die Verantwortung gegenüber den Patienten, dem Chefarzt, der Klinik und den Assistenzärzten war anfangs etwas erdrückend und hat mich sicher oft härter urteilen lassen, als ich das heute tun würde. Fachliche und persönliche Schwächen sowie zu wenig intelligente und verantwortungsvolle sowie zu langsame Handlungsweisen waren für mich inakzeptabel. Heute versuche ich, die Dinge in solchen Situationen etwas milder zu beurteilen.

Die Berufswelt sei belastender geworden, geht die Klage. 
Camenisch:
Stärker belastend sicher, aber nicht aufgrund des Arbeitspensums, sondern als Folge unsinniger Bürokratie. Meinen Beruf empfinde ich nie als Belastung. Chirurgin zu sein, ist für mich eine Berufung.

Das Thema Nachhaltigkeit bewegt. Ihr Beitrag, heute und in Zukunft?
Camenisch:
Ich versuche, nur so viel Lebensmittel einzukaufen, wie ich auch zu konsumieren vermag, und unsinnige Verpackungen zu vermeiden. In Bezug auf die soziale Nachhaltigkeit begleite und unterstütze ich Frauen, die körperliche und seelische Not erfahren haben.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Camenisch:
Finanzielle Freiheit. Sie macht einen unabhängiger, gelassener – und grosszügiger.

Vertrauen Sie auf Ihr Bauchgefühl?
Camenisch:
Zu hundert Prozent – heute sogar mehr noch als meinem Verstand. Die Erfahrung lehrt mich: Habe ich den Mut, meinem Instinkt zu vertrauen, gehe ich selten fehl.

Was bringt Ihnen Erholung? 
Camenisch:
Joggen in der Natur, eine herrliche Massage und meine Nichte durch die Stadt zu chauffieren.

Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Camenisch:
Ich werde die Träume von heute realisiert und neue ersonnen haben.
 
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