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Abstiegschancen für Chefs

Veröffentlicht am 11.04.2016
Abstiegschancen für Chefs
Manche Firmengründer klammern sich bis ins hohe Alter an den Chefsessel. Hermann Arnold übergab die Verantwortung für die Haufe-umantis AG vor drei Jahren an seinen ehemaligen Praktikanten Marc Stoffel. Kann das gut gehen?

Interview: Mathias Morgenthaler
Herr Arnold, Sie sind einer der Gründer des Software-Unternehmens umantis und haben dieses 13 Jahre lang geführt. Wie schwer ist es Ihnen vor drei Jahren gefallen, den Sessel zu räumen für Ihren Nachfolger?

HERMANN ARNOLD: Ich hielt mich nie für unersetzlich, sondern sagte immer: Ich bleibe, solange es niemanden gibt, der es besser macht und den wir uns leisten können. Bei Gründern ist die Gefahr gross, dass sie zum Flaschenhals werden und das weitere Wachstum des Unternehmens behindern. Oft klammern sie sich aus dem Gefühl der Unersetzlichkeit an ihren Job. Ich habe versucht, dem vorzubeugen, seit mich meine drei Mitgründer damals zum Chef ernannt haben. So arbeitete ich relativ lange auf einem Holzstuhl, um mir und den Mitarbeitern klar zu machen, dass ich keine Privilegien für mich in Anspruch nehme. Es gab Mitarbeiter, die wussten noch zwei Monate nach dem Eintritt ins Unternehmen nicht, dass ich der Chef bin.

Wann haben Sie gemerkt, dass der heutige Chef Marc Stoffel womöglich besser ist als Sie?

Das war, als wir je ein zeitkritisches Projekt leiteten und im Projekt des anderen mitwirkten. Das öffnete mir die Augen. Ich bin der klassische Gründer, der die Machete herausholt, einen Weg durch den Dschungel bahnt und vorangeht. Solche Typen braucht es. Es braucht aber auch die, welche den Trampelpfad breiter machen. Mir wurde bewusst, dass ich sehr viel selber machte und immer darauf achtete, meine Leute nicht zu sehr zu belasten. Marc Stoffel nahm da weniger Rücksicht. Er mutete seinen Leuten unglaublich viel zu – zu viel, wie ich fand. Was ist passiert? Das Ergebnis war in seinem Projekt markant besser. Und die Leute in seinem Team waren euphorisiert und stolz auf das Erreichte. Mir wurde klar, dass ich sie durch meine Rücksicht klein gehalten hatte; und dass das womöglich nicht nur für das eine Projekt, sondern für die gesamte Unternehmensführung galt.

Keine schöne Erkenntnis. Sie hätten auch versuchen können, sich zu verbessern, statt die Chefposition an jemanden abzugeben, der als Praktikant unter Ihnen angefangen hatte.

Unser damaliger Verwaltungsratspräsident fragte mich: «Willst du nicht lernen, professioneller CEO zu werden?» Ich fragte zurück: «Warum soll ich mich selbst verbiegen, wenn ein anderer es besser macht?» Es geht ja nicht darum, es richtig zu machen, sondern das Richtige zu tun. Ich sah es als Chance, zurückzutreten und meinen Nachfolger Marc Stoffel zu unterstützen. Welcher Firmenchef hat schon jemanden im Team, der seine Situation kennt und ihm offenes Feedback geben kann?

Wie haben die Mitarbeiter und Kunden reagiert? War es nicht schwierig, dass Sie als langjähriger Chef in der Firma blieben?

Ich nahm eine 100-tägige Auszeit, damit Marc Stoffel sich frei entfalten und ich meine Rolle neu definieren konnte. Es war interessant zu sehen, was sich durch den Rollenwechsel alles veränderte. Kurz bevor Marc Stoffel die Leitung übernahm, hatten wir ein Treffen mit zwei potenziellen Partnern. Zu Beginn redeten beide nur mit mir, beachteten ihn kaum. Als wir den bevorstehenden Wechsel erwähnten, änderte sich das schlagartig. Da hätte ich den Raum verlassen können, ohne dass es bemerkt worden wäre. Dieses und weitere Erlebnisse zeigten mir: Ob wir Gehör finden und was wir gelten, hängt viel stärker von unserer Rolle als von unserer Persönlichkeit ab. Das sollte man sich als Chef immer bewusst machen. Eines Tages fragte mich mein Nachfolger, warum viele Projekte ohne ihn nicht vom Fleck kämen. Ich antwortete ihm sehr direkt, das habe weniger mit seiner Intelligenz zu tun als damit, dass er CEO sei und die Mitarbeiter von ihm Entscheidungen erwarteten. Wer lange Chef ist, riskiert, früher oder später der Illusion zu erliegen, er sei der Beste, Schnellste, Klügste.

Sie plädieren aus diesem Grund für Spiral-Karrieren statt linearen Aufstieg, empfehlen gelegentliches Zurücktreten und Reflexion statt nur Aufstieg und Machtsicherung. Wie kommt diese Botschaft an?

Es ist kein Thema, mit dem man Popularitätswettbewerbe gewinnt. Ende November hielt ich einen TEDx-Talk in Berlin und stellte mich als Ex-CEO vor. Schon während des Redens merkte ich, dass die Zuhörer innerlich unbeteiligt sind, nach dem Motto «Was geht mich das an?». Nach meinem Auftritt kamen einige Frauen auf mich zu und gratulierten mir zum Mut, öffentlich über meine Niederlage zu reden. Die männlichen Zuhörer suchten das Weite, als hätten sie Angst davor, sich mit dem Verlierer-Virus anzustecken. Meine Kernbotschaft, dass temporäres Zurücktreten sowohl die Führungskraft als auch das Unternehmen voranbringt, ist nicht wirklich durchgedrungen. Aber es gibt auch ermutigende Signale. So hat Lufthansa kürzlich entschieden, alle Führungspositionen ausdrücklich nur noch temporär zu besetzen. In Vereinen und Freiwilligen-Organisationen ist das Zurücktreten ins Glied ja breit akzeptierte Praxis.

Sind auch schon andere Führungskräfte bei Haufe-umantis wieder ins Team zurückgetreten?

Ja, es haben mehr als 10 Personen ihre Führungsverantwortung abgegeben und wieder Projektaufgaben übernommen. Die letzte Vorgesetzte, die sich dafür entschieden hat, nachdem das Feedback kritisch ausgefallen war, erntete stehenden Beifall an unserem Strategie-Wochenende. Leicht ist das trotzdem nicht, es fliessen oft Tränen, aber es ist wichtig, dass ein solcher Schritt ohne Gesichtsverlust möglich ist. Ich bin überzeugt, dass die betreffende Mitarbeiterin später wieder Führungsaufgaben übernehmen wird und es viel besser machen wird. Wir sollten uns von ein paar veralteten Vorstellungen lösen. Etwa der, dass man ein Berufsleben lang nur aufsteigt oder sich oben hält. Und der, dass nur Chefs richtig gut verdienen. Ein differenzierteres Karriereverständnis und weniger rigides Lohngefüge würde auch das Problem entschärfen, dass Angestellte über 55 oft frühpensioniert werden und kaum mehr eine neue Chance erhalten.
Kontakt und Information:
www.haufe.com oder hermann.arnold@haufe.com 

Legende: Hermann Arnold: «Mein Nachfolger mutete den Mitarbeitern unglaublich viel zu – und hatte Recht damit.»