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Achtung: Lockerheits-Falle

Veröffentlicht am 12.05.2017
Achtung: Lockerheits-Falle
Ob innerhalb der Firma, im B2B- oder B2C-Bereich. Ein gewisses Laissez-faire beim Umgang mit dem Gegenüber ist ein ganz natürlicher, menschlicher Vorgang. Doch wo liegen die Grenzen?

„Ach Chef, jetzt fahr mal deinen Puls wieder runter“. „Kannst Du voll vergessen, heute schick ich dir gar nix mehr raus, das mach ich morgen“. „Ach, Du schon wieder, dein Töff ist aber noch nicht fertig“. Kommen Ihnen solche und ähnlich gelagerte Sätze bekannt vor? Haben Sie sie vielleicht sogar selbst schon ausgesprochen? Wenn ja, kann es sein, dass Sie voll in die Lockerheits-Falle getreten sind. Und die kann – muss aber nicht – auch ohne es zu merken, für reichlich Probleme sorgen. Der folgende Artikel gibt Rat darüber, wie locker zu locker ist.

Irgendwann werden alle locker
Warum ist das eigentlich so? Fremden begegnen die meisten Menschen zunächst reserviert und sehr höflich. Doch es braucht nur einige wenige Faktoren und schon ist man bereit, mit derselben Person Witze zu machen, zu duzen – und das, obwohl sich eigentlich in der gegenseitigen Beziehung absolut gar nichts geändert hat.

Der Grund ist eine buchstäblich urmenschliche Eigenschaft, genauer gesagt die zwischenmenschliche Kommunikation. Evolutionär gesehen halten wir Fremde auf Distanz – schließlich könnte derjenige uns ja etwas Böses wollen. Doch was in früheren Zeiten mit Gesten passierte, etwa der Speerspitze, die man demjenigen unter die Nase hielt, geschieht heute in unseren zivilisierteren Zeiten durch Sprache.

Die meisten haben in der Schule gelernt, dass es mehrere Sprachformen gibt. Und innerhalb unserer natürlichen Sprache, der Muttersprache, existieren weitere Abstufungen. Sprachformen, die direkt den Vertrautheitsgrad wiederspiegeln. An diesem Punkt kommt die Sozialisierung ins Spiel. Jeder Mensch geht unterschiedlich mit vertrauten Personen um, der eine legerer, der andere weniger. Um hier eine Art Lingua Franca zu erschaffen, auf die in den heutigen Zeiten alle zurückgreifen können, existiert die sogenannte Geschäftssprache. In jedem Kulturbereich ein wenig unterschiedlich, ist sie innerhalb ebendieses Kulturbereichs jedoch das „Eichmaß“ dessen, an das sich alle halten, die außerhalb des Privaten miteinander kommunizieren.

Doch, um es mit den Worten eines Sängers wiederzugeben: „Der Mensch ist Mensch“. So kommt es praktisch immer vor, dass die Sprache mit der Zeit lockerer wird. Man beginnt, den Kunden zu duzen, unterlässt business-typische Begrüßungsfloskeln beim langjährigen Geschäftspartner, nennt den Kollegen beim Vornamen. Dies zu beobachten ist für Wissenschaftler faszinierend, denn es zeigt sich darin mehreres:
  1. Der moderne Mensch agiert hier unbewusst und fern jeglicher Sozialisierung immer noch so wie seine urzeitlichen Vorfahren.
  2. Das lockerer-werden beschränkt sich grundsätzlich nur auf einzelne Personen und kann, sogar in derselben Unterhaltung, von Person völlig unterschiedlich gehandhabt werden (etwa in der Kantine zwischen zwei altbekannten und einem neuen Kollegen oder bei einem langjährigen Geschäftspartner, der seinen Nachfolger zum ersten Gespräch mitbringt.
Damit steht also fest - sofern wir uns nicht andauernd unter Kontrolle haben - dass es praktisch unmöglich ist zu verhindern, dass sich mit der Zeit eine gewisse Lockerheit breitmacht.
 

Innerhalb der Firma
Der Schweizer ist ein echtes Arbeitstier. Fast 41,5 Stunden verbringen wir durchschnittlich pro Woche auf der Arbeit. Rechnet man das auf den einzelnen Tag um, sind es mehr als 8,2 Stunden, die wir mit unseren Kollegen und Vorgesetzten verbringen. Für nicht wenige ist das weit mehr Zeit, als sie mit Freunden und sogar dem Partner verbringen.

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Unter gleichrangigen Kollegen gibt zwar der Dienstältere den Ton vor, aber auch freundschaftliche Lockerheit ist kein Problem.

Dabei gilt hier die goldene Regel „alles kann, nichts muss“. Der Umgang mit Kollegen, die auf einer vergleichbaren Stufe wie man selbst stehen, ist dabei am einfachsten, denn hier muss kein innerbetriebliches Ranggefüge beachtet werden. Deshalb gilt hier, dass es so locker zugehen kann, wie das kollegiale Gegenüber es zulässt. Wer nicht weiß, ob er oder der Kollege dabei das Vorrecht haben, kann folgende Vorgehensweise beachten:
  • Dienstälterer vor Dienstjüngerem
  • Lebensälterer vor Jüngerem
Das Dienstalter steht hier also rangmäßig über dem Lebensalter. Wenn der alte Kollege, der schon wesentlich länger im Betrieb ist, als man selbst, mit dem Du anfängt, wäre es also unhöflich darauf zu verzichten. Umgekehrt sollte man ihm selbst nicht unbedingt diese Anrede aufzwingen. Aber grundsätzlich hat die Lockerheit unter Gleichgestellten keine wirklichen Grenzen, die über das Gesellschaftliche hinausgehen.

Bei Untergebenen sieht es indes anders aus. Hier sollte man es als Vorgesetzter nicht mit der Vertrautheit übertreiben, denn sonst leidet die Autorität. Auch das ist eine Folge unserer Evolution. Bei Menschen, mit denen wir locker umgehen, schwindet nicht nur die Distanz, sondern auch unsere Fähigkeit, sich von diesen Leuten etwas sagen zu lassen – also die Grundvoraussetzung eines Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnisses.

Umgekehrt sieht es natürlich ähnlich aus. Dabei gilt, dass der Chef vorgeben darf, wie locker es zugeht. Wer professionell sein will, weicht auch keinen Millimeter weiter in Richtung Lässigkeit aus. Wenn der Chef es beim in vielen Firmen verwendeten „Du + Nachname“ so handhabt, wäre es ein schwerer Fauxpas, eigenmächtig daraus ein „Du + Vorname“ zu machen.

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Quelle

 
B2B-Bereich
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Führungskraft ist ein einsamer Posten, denn hier bedeutet zu viel Lockerheit, dass die Moral und der Respekt der Teammitglieder leiden.

Zwischen Geschäftspartnern lässt sich diese Vorgehensweise praktisch eins zu eins fortsetzen, wenngleich mit gewissen Einschränkungen. Zu den ungeschriebenen Gesetzen der innergeschäftlichen Kommunikation gehört es demnach, dass die Korrespondenz umso förmlicher sein sollte, je kürzer der Kontakt besteht. Mit der Zeit kann man sich dann, sofern keine anderen Gründe dagegensprechen, an dem orientieren, was das Gegenüber vorgibt.

Der große Unterschied zum firmeninternen Bereich ist jedoch, dass selbst zwei sehr vertraute Geschäftspartner immer noch das Geschäftliche im Fokus haben sollten und bei der Preisgabe privater Informationen nur sehr spärlich vorgehen sollten (etwa der Beziehungsstatus etc.). Hier steht das Problem, dass zwei B2B-Partner auf Augenhöhe immer zweierlei Bedürfnisse haben: Die des Unternehmens und die Persönlichen. Ersteres hat dabei immer Vorrang.

Natürlich gilt auch dies nur unter der Maßgabe der Ranggleichheit. Ist dies nicht gegeben, kann man sich am Chef-Angestellten-Verhältnis orientieren, sollte es aber noch etwas strenger handhaben. Als Außendienstler beim Geschäftsführer eines anderen Unternehmens sollte man auch dann zutiefst förmlich bleiben, wenn dieser eine starke Jovialität an den Tag legt. Umgekehrt ist man selbst als Ranghöherer hier immer auch das Aushängeschild des eigenen Unternehmens und sollte dies mit freundlicher Förmlichkeit zum Ausdruck bringen.
 
B2C-Bereich
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Je jünger eine Branche, desto weniger traditionell denken auch die Kunden und erwarten deshalb nicht unbedingt das Sie.

Der Kunde ist der König, dem gegenüber man sich untertänig verhält. Das zumindest war einmal die goldene Regel, an die sich absolut jeder hielt. Heute geben große Konzerne eine ganz andere Marschrichtung vor. Möbelriese Ikea duzt seine Kunden in Katalog und Werbespots schon seit Jahrzehnten. Seit einigen Monaten gehört hierzulande auch Coop zur Gruppe der duzenden Dienstleister.

Und was merkt man dabei? Ganz einfach, dass jeder Kunde anders ist. So wird es unter denjenigen, die gerade diese Zeilen lesen, ebenso viele geben, die schulterzuckend sagen „Na, ist doch nichts dabei“, wie es ebenso genügend geben wird, die es schlicht und ergreifend ablehnen, sich von einem Unternehmen ungefragt so freundschaftlich behandeln zu lassen.

Dabei muss man durchaus differenzieren. Im gesamten Westen kommt es seit Jahren zu einer gewissen „Kolleeg-isierung“ des B2C-Bereichs. Das liegt daran, dass es in diesem, unserem Kulturkreis generell in Sachen Strenge eher bergab geht. Firmen versprechen sich dadurch, dass sie dem Kunden vorgeben, er sei ein vertrauter Freund des Hauses, mehr Umsätze.

In Wirklichkeit begibt man sich mit dieser Vorgehensweise auf dünnes Eis. Denn für viele Kunden klingt zu viel Lässigkeit nicht nur nach Respektlosigkeit, sondern auch Anbiederung – beides keine guten Komponenten, wenn man etwas verkaufen möchte. Insbesondere deshalb, weil die Schweiz hier inmitten einiger sehr lockerer Länder fast schon eine kleine konservative Bastion ist. Generell kann man hier nur sagen, dass die Bereitschaft, von einem Dienstleister kumpelhaft behandelt werden, mit zunehmendem Alter abnimmt. Natürlich bringt einen das aus Unternehmersicht in die Zwickmühle: Soll man nun die geschätzte Mittzwanzigerin in der Reihe duzen, den älteren Herren dahinter jedoch siezen? Und was ist mit den Stammkunden, die zwar schon älteren Semesters sind, aber seit Jahr und Tag das Unternehmen aufsuchen?

Die Antwort darauf ist: Es kommt darauf an. Als grobe Richtlinie bietet es sich an, sich die generelle Ausrichtung des Unternehmens anzuschauen. Dabei ist es eine ungeschriebene Regel, dass umso mehr Lockerheit erlaubt ist, je „jugendlicher“ ein Unternehmen ist. Das hat weniger mit Waren oder Dienstleistungen zu tun als der Branche:
  • Unterhaltungselektronik ist etwa ein sehr jugendliches Feld
  • Finanzangelegenheiten sind äußerst konservativ
  • Mode ist für Frauen jugendlicher als für Männer
  • Handwerk ist, obschon traditionell, eher locker
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Das Einbeziehen des Kundenalters ist selten ein schlechter Ratgeber. Hier gilt (meistens) je älter, desto konservativer.

Fazit
Als Menschen neigen wir dazu, umso lockerer zu werden, je länger wir unser Gegenüber kennen. Außerhalb der Arbeit ist dagegen auch nichts einzuwenden. Innerhalb der Schranken, die einem die Firma, B2B und vor allem B2C vorgeben, sollte man jedoch diesen Ur-Instinkt zwar nicht unterdrücken, aber zumindest in die Bahnen lenken, die das geschäftliche Miteinander vorgeben. Im Zweifelsfall gibt immer das Gegenüber die Marschroute vor.
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